Übrigens... kennen Sie "Julchen" schon?
Eine sehr persönliche Geschichte von mir und meiner Geliebten.
Vor langer Zeit hatte ich eine Geliebte.
Eine Geliebte? Ja!
Aber eine die von meiner Ehefrau genauso (oder wenigstens fast genauso) geliebt wurde wie von mir.
Meine Geliebte hieß Julia. Genaugenommen hieß sie ja eigentlich Giulia - weil sie Italienerin war.
Aber ich nannte sie immer nur liebevoll bei ihrem Kosenamen:
"Julchen"
Ich fürchte - nein ich weiß mit Sicherheit - Julchen lebt nicht mehr.
Julchen widerfuhr das gleiche Schicksal wie ihren Schwestern.
Julchen wurde eingeschmolzen !
Eingeschmolzen in einem Hochofen und weiterverarbeitet zu Kochtöpfen,
Bratpfannen oder Radkappen. Nein - keine Radkappen. Die werden
inzwischen längst aus Plastik gemacht. An Julchen war kein Plastik. Die
übriggebliebenen und wohl auf der ganzen Welt verstreuten Reste von
Julchen waren nämlich in einem früheren Leben ein Automobil.
Nein, nicht einfach irgendein Auto. Ein richtiges Auto. Ein
Automobil eben. Ein richtiges, klassisches, rotes Automobil. Mit einem
vierblättrigen Kleeblatt an der Seite.
Auch viele ihrer Schwestern waren rot. Das hatte mit Tradition zu tun.
Julchen war ja wie schon gesagt eine echte Italienerin, und echte
Italiener waren eben rot, weil die Engländer grün, die Franzosen blau und
die Deutschen weiß waren. Das nämlich, waren vor langer Zeit die
traditionellen Rennwagenfarben dieser Länder. (Die deutschen
"Silberpfeile" kamen erst später.)
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Mein Julchen kam 1972 in Arese - in
der Nähe von Mailand - zur Welt.
Der Name ihrer Mutter war A.L.F.A., und der Vater war ein
gewisser Romeo, der 1915 in die Familie eingeheiratet
hatte. So hieß sie Alfa-Romeo und ihr Vorname war Giulia.
(Na, hat sie nicht einen knackigen
Hintern?) |
Ihre Karosserie war noch kein vom
Windkanal rundgelutschter, gleichförmiger Einheitsbrei.
Sie hatte Stil. Sie zeigte Figur.
Über die Rundungen ihres Blechkleides zu streicheln, bereitete
ein sinnliches Erlebnis.
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 | Notorische Besserwisser
und mißgünstige Neider behaupteten ja, ihr Blech wäre in jenen Tagen aus
rostigem Schrott gemacht worden und sowas würde sich im Alter
rächen. Sie nannten meine Bella Macchina eine "Italienische
Rostschüssel" oder "Alfa Rosteo". Sie behaupteten alle Alfa's würden
bereits im Prospekt rosten, und prophezeihten die Qualitätskrise wäre wohl
erst dann endgültig überwunden, wenn Alfa-Romeo es wagen würde, die Farbe
"rostbraun" in ihr Lieferprogramm aufzunehmen.
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Mein Julchen wurde also - wohl um dem
schlechten Ruf zu trotzen - in das regnerische Deutschland
geschickt.
Dort von einem Mitarbeiter der örtlichen Alfa Romeo Vertretung
ein Jahr lang in Pflege genommen, von ihm verköstigt,
saubergehalten und spazierengefahren.
Ein glücklicher Zufall führte mich in ihre Nähe, und als ich
sie sah, war es um mich geschehen. Für 8800.- DM (damals
immerhin fast neun Monatsgehälter) war man bereit Julchen in neue
liebevolle Hände zu
geben. |
Daß
Julchen aber eine unvergessliche Jugendliebe werden würde habe ich aber
erst sehr viel später erkannt. Erst lange nachdem ich mich des schnöden
Mammons wegen (ich brauchte das Geld für einen Neuwagen) von ihr getrennt
hatte, erkannte ich daß es die wahre, die echte Liebe war.
Aber meine Gefühle stießen ja auch nicht
immer auf Gegenliebe.
Benahm sie sich doch häufig wie eine launische Primadonna. Ein
eigensinniges Biest, das von ihrem Liebhaber nach jeder feuchtkühlen
Nacht erst liebevoll wachgeküßt werden wollte, bevor sie überhaupt
bereit war ihren Schönheitsschlaf zu beenden.
Dazu bedurfte es nicht nur eines gefühlvollen Umganges mit dem
Gaspedal und dem Chokehebel, (Startautomatik ? Was ist das ?)
nein, das verzogene Luder erwartete sogar noch daß man dabei mit
ihr redete.
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Das Zündschloß war wahrscheinlich auch
nur deshalb auf der linken Seite des Lenkrades angebracht damit man
zwischenzeitlich mit der rechten Hand sanft über das Armaturenbrett
streicheln konnte.
Sich anzugurten lohnte erst, wenn der Motor wirklich auf allen
vier Zylindern rund
lief. |
Aber
dann ging's immer noch nicht los. Hieß es doch in der
Bedienungsanleitung allen Ernstes, und jedem neumodischen Umweltschutz zum
Trotz, bei Minustemperaturen solle man den Motor im Stand etwa zwei bis
drei Minuten warmlaufen lassen. Aber Julchen hatte ja immerhin fast
acht Liter Kühlwasser und über sechs Liter Motoröl auf Betriebstemperatur
zu bringen. Außerdem stand dort noch man solle im Rückwärtsgang nicht
schneller als sechsundvierzig Stundenkilometer fahren. Ich hab's
ausprobiert - die Leute hatten recht ! Aber das wäre schon wieder eine
andere Geschichte.
Beim "Kampfstart" an der Ampel hatte
zwar ein "VW-Käfer" für die ersten zwei Meter oft die Schnauze
vorne... aber dann !!!
Dann quietschten sogar nach dem Hochschalten in den zweiten Gang
nochmal kurz die Hinterreifen.
Auch ihr fünfter Gang war kein kraftloser Schongang, sondern ein
echter Fahrgang und hatte mit seiner kurzen Übersetzung auch noch
genügend Dampf um kraftvoll zu beschleunigen. Sie war der " GTI "
der frühen Siebziger... nur schöner. |
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Wenn sie
einen Rallye-Kadett von Opel sah, oder gar einen BMW 2002, dann wurde
sie munter und scharrte mit den Hufen. Bei einem Porsche hingegen blieb
sie ganz ruhig - sie verlor nicht gern.
Sie meinte auch: Was brauch ich Tempomat, ich hab Handgas ! Schlecht
nur, wenn sich bei 180 auf der Autobahn der Hebel nicht mehr
zurückschieben läßt !
Etwa an ihrem zweiten Geburtstag ist es gewesen, da kam der erste
Rost. Zuerst ganz winzig und unscheinbar kroch er unter den
Chromleisten der Fensterrahmen hervor. Vielleicht hätte man bei der
Montage die Fenstereinfassungen mit ihren scharfen Stahlkrallen doch nicht
einfach mit dem Gummihammer auf die Fensterrahmen schlagen
sollen. Zylinderkopfdichtungen hatte sie übrigens zum Fressen gern, und
jedesmal mußte auch gleich der Leichtmetall-Zylinderkopf plangeschliffen
werden. Ihre eingelaufene Kurbelwelle hatte ich noch lange als
Erinnerungsstück aufbewahrt, und eine ihrer Edelstahl-Radkappen hängt
heute noch als Wanduhr in meinem Arbeitszimmer.
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Julchen zeigte mir auch auf etlichen
Urlaubsreisen ihre sonnige Heimat, von der Riviera, bis hinunter
nach Apulien. Was ist das doch für ein herrliches Land, wenn dort
sogar die Polizei Alfa-Romeo fährt. Sogar als Zugpferd für einen
Wohnwagen ließ sie sich dabei zweckentfremden. Wohl aber nur
deshalb, weil sie beide Landsleute waren. Er war etwa gleichaltrig
und kam von "Roller" aus der Nähe von Florenz. Bei einer
Aufholjagd durch die Po-Ebene bewies sie mir, daß trotz Wohnwagen im
Schlepptau, immer noch fast 160 Sachen drin sind.
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Haben Sie schon mal die Abgaswerte von
zwei parallelgeschalteten "DellOrto
Doppel-Horizontalvergasern" einstellen lassen? An diesem
Problem würde heutzutage wohl jeder Werkstattcomputer kläglich
scheitern.
Sowas machte damals ein deutsch-radebrechender italienischer
Gast-Mechaniker mit einem Schraubenzieher und zwei trainierten
Ohren. Originalzitat seiner Worte nach getaner Arbeit: So - du jetzt fahren ganz
vorsichtig und langsam zu TÜV für machen ASU, dann du kommen sofort
zurück, und ich machen Motor wieder laufen richtig.
Der Mann vom TÜV war dann auch äußerst zufrieden. Er hatte
wohl noch nie einen Alfa Motor mit so niedrigen Abgaswerten gesehen.
Nachdem ich wirklich sofort danach meinen bockenden,
stotternden und gegen das Absterben kämpfenden Motor von dem
Mechaniker mit dem guten Gehör -
So - jetzt wieder laufen richtig.-
hatte machen lassen, rannte Julchen so flink wie nie zuvor.
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Das alles ist zwar jetzt schon sehr,
sehr lange her. Aber wenn ich ganz fest die Augen
schließe, habe ich wieder ihr sonores Auspuffbrabbeln in den
Ohren. In den Fingern spüre ich wie sich ihr Lenkrad
anfühlt, und ein feiner Hauch von ihrem Duft strömt mir durch die
Nase.
Eine Giulia ist kein geselliger
Kumpel der auch mal Fehler verzeiht, wie ein VW, auch kein
lausbübischer Filou der schon mal zu Streichen animiert, wie ein
BMW. Sie ist keine treue, fürsorgliche Ehefrau, wie ein Opel oder
Ford, und auch kein zuverlässiger Begleiter für ein ganzes Leben,
wie vielleicht ein Mercedes.
Eine Giulia ist eine Geliebte. Launisch und fordernd, aber
zugleich rassig und sinnlich. Und wenn man nicht aufpaßt - dann
verfällt man ihr.
Und dann bringt sie einen sogar dazu, daß man fast dreißig
Jahre später nächtelang vor einer Computertastatur sitzt, nur
um ihr - posthum - eine letzte Liebeserklärung zu
schreiben.
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